Sitzen ist das neue Rauchen: Eine Stunde kostet 22 Minuten Lebenszeit
Durchschnittlich sitzen wir rund acht Stunden am Tag. Dass das nicht
sonderlich gut für uns ist, ist jedem bewusst. Doch ist es tatsächlich schädlicher als rauchen?
"Wir sitzen uns tot?"
"Sitzen ist das neue Rauchen", diese Behauptung haben Sie sicherlich schon
einmal gehört oder gelesen. Dies mag zwar nach einer maßlos übertriebenen Boulevardblatt-Schlagzeile klingen, doch steht der Autor dieser Behauptung, Dr. James Levine, nach wie vor zu seiner
Aussage. Als Leiter des Obesity-Solutions-Projekts an der Mayo Clinic der Arizona State University, das Lösungen gegen Übergewicht erforscht, geht er sogar noch weiter.
"Das Risiko für Herzkrankheiten steigt"
"Sitzen ist gefährlicher als Rauchen, tötet mehr Menschen als HIV und ist
tückischer als Fallschirmspringen", sagt er. Seine simple Schlussfolgerung: "Wir sitzen uns tot." Levine ist nicht der einzige Schwarzmaler. Gestützt auf zahlreiche Forschungsarbeiten, behaupten
er und eine rasant wachsende Zahl weiterer Experten, dass nur zwei Stunden Sitzen am Stück die Risiken für Herzerkrankungen, Diabetes, Metabolisches Syndrom, Krebs, Rücken- und Nackenschmerzen
und andere orthopädische Probleme erhöht.
"Die Folgen vom Sitzen sind unumkehrbar"
Sitzen verkürzt das Leben genauso wie Rauchen. Dazu zeigen heute viele
Untersuchungen, dass sich die Folgen langfristigen Sitzens auch nicht durch Sport oder andere gesundheitsfördernde Gewohnheiten beseitigen lassen. Selbst wenn Sie gesund essen und regelmäßig eine
Stunde am Tag trainieren, aber Ihre restlichen Wachstunden ganz oder größtenteils sitzend verbringen, schmälert oder annulliert dies die positiven Effekte Ihrer Fitnessbemühungen. Sie gelten nach
wie vor als Vielsitzer. Manche Experten behaupten sogar, dass Sitzen noch schädlicher als Rauchen sei.
"Lebenserwartung um 22 Minuten verringert"
Laut einer 2008 in Australien durchgeführten Studie verringert bei über 25-Jährigen jede Fernsehstunde die Lebenserwartung um 21,8 Minuten. Das Rauchen einer Zigarette kostet im Vergleich elf
Minuten. Dr. Levine bekräftigt, dass uns jede Sitzstunde zwei Lebensstunden kostet. Der sitzende Büromensch erleidet mehr muskuloskeletale Verletzungen als die Arbeiter aller anderen
Industriebereiche, inklusive Baubranche, Metallverarbeitung und Transportwesen. Daraus schließt ein Forscher: Sitzen stellt das gleiche Gesundheitsrisiko am Arbeitsplatz dar wie das Heben
schwerer Lasten.
Seit 20 Jahren untersuchen Ärzte und Wissenschaftler die tödliche Wirkung von übermäßigem Sitzen. In jüngster Zeit ziehen auch die Medien gleich, indem sie das Problem als Krise der öffentlichen
Gesundheit beschreiben, aufgrund der vielen Indizien, die den sitzenden Lebensstil mit einer Vielzahl negativer Gesundheitsauswirkungen verbinden. Die WHO stuft körperliche Inaktivität – zu viel
Sitzen – heute weltweit als viertgrößte der vermeidbaren Todesursachen ein, mit geschätzten 3,2 Millionen Todesfällen jährlich.
"Der Mensch braucht Bewegung!"
In nur 20 Jahren katapultierte sich Sitzen in der Liste der gesundheitsgefährdenden Faktoren weltweit ganz nach oben. Was heißt das für uns — und wie lösen wir das Problem? Die Antwort ist
einfach: Der Mensch ist dafür gebaut, sich zu bewegen, außer wenn er schläft. Von dieser wichtigen Tatsache hängen unsere Körperfunktionen ab. Unser Zentralnervensystem entwickelte sich
dahingehend, Veränderungen um uns herum wahrzunehmen und uns durch die Umwelt zu bewegen.
Seit fast 200.000 Jahren verbringt der Homo sapiens die meiste Zeit in Bewegung. Für sein Essen musste er jagen oder im Boden graben. Um sich fortzubewegen, musste er laufen. All diese
lebenswichtigen körperlichen Aktivitäten mögen uns heute anstrengend erscheinen, doch formte dies sowohl das äußere wie das innere Design unseres Körpers. Der Mensch ist für Bewegung
konstruiert, und umgekehrt erhält Bewegung ihn gesund – ein natürlicher Mechanismus, der uns überleben ließ.
"13 Stunden am Tag sitzen!"
Das Problem der Evolution ist, dass sie nicht vorausplant. Sie konnte die Erfindung des Stuhls nicht vorhersehen. Anfangs hatte dieses einfache, vierfüßige Möbel keine nennenswerte
Gesundheitsauswirkung, sondern diente nur als Rastplatz nach einem harten Tag auf dem Feld oder in der Fabrik.
Zeitraffer ins 21. Jahrhundert: In erstaunlich kurzer Zeit entwickelten die Bewohner der Industrienationen weltweit eine fast durchweg sitzende Lebensweise.
Der Amerikaner von heute verbringt durchschnittlich 13 Stunden am Tag im Sitzen. Sobald die Schreibtisch-Stuhl-Kombination zum kulturellen Arbeitsplatzstandard geworden war, folgten
andere sitzbasierte Innovationen. Telefone ermöglichten es, Büroarbeitern, am Platz zu kommunizieren. Das Fernsehen verführte Menschen jeden Alters zu passiver Freizeitgestaltung. In den
1950er-Jahren, als Autos erschwinglich geworden waren und das Fernstraßennetz ausgebaut wurde, wuchsen die Vorstädte, die Pendlerkultur wurde eingeläutet. Dann kam der Computer, und unser
Schicksal als sitzende Kreaturen war besiegelt.
Quelle: Redaktion Chip.de